EU-Kommissarin Mairead McGuinness sendet unterschiedliche Signale aus. (Bild: IMAGO / Hans Lucas)

Payment For Order Flow: Wo die wahren Konfliktlinien verlaufen

Seit einiger Wochen steht ein Verbot des sogenannten Payment for Orderflow im Raum – mit großen Konsequenzen für die Neobroker. Doch wie könnten die jungen Anbieter darauf reagieren? Und wer hat Interesse an einem Verbot? Eine Analyse.

Die zuständige EU-Kommissarin Mairead McGuinness sagte kürzlich zu einem möglichen Verbot des Payment for Orderflow: „Bei dem Thema ist das letzte Wort noch nicht gesprochen.“ Und tatsächlich sind noch viele Fragen offen.

Zum Beispiel: Warum ist McGuinness von ihrem eigenen Entwurf abgerückt? Stimmt es überhaupt, dass die klassischen Banken für ein Verbot sind – oder haben wir das fälschlicherweise bloß angenommen? Was werden die Neobroker eigentlich machen, wenn das PFOF-Verbot kommt? Und, nicht zuletzt: Hat eigentlich mal jemand die diversen Lobby-Aussagen der letzten Wochen  (von Trade Republic bis Flatex) hinterfragt? Wir haben es zumindest mal versucht.

Der Deep Dive:

1.) Was steht im EU-Entwurf nochmal genau?

Der vergangene Woche veröffentlichte Vorschlag der EU-Kommission enthält ein umfassendes Verbot jedweder Gratifikation für das Weiterleiten einer Wertpapier-Order. Keine Ausnahmen. Keine Hintertürchen. Punkt

Die entscheidende Formulierung findet sich im neu einzufügenden Artikel 39a (Fettungen unsererseits):

„Investment firms acting on behalf of clients shall not receive any fee or commission or non-monetary benefits from any third party for forwarding client orders to such third party for their execution.“

An mehreren Stellen des Entwurfs betont die Kommission zudem die aus ihrer Sicht herausragende Bedeutung der sogenannten „Best Execution“. Heißt: Banken und Broker haben sicherzustellen, dass die Aufträge der Endkunden bestmögliche abgewickelt werden.


2.) Warum soll all das jetzt plötzlich nicht mehr gelten?

Naja, dass es nicht mehr gilt, ist nicht gesagt. Dennoch war, wie gesagt, verblüffend, wie deutlich die zuständige EU-Kommissaron Mairead McGuiness in einem am Freitag veröffentlichten „FAZ“-Interview den eigenen Entwurf relativiert hat. Wir zitieren:

„Bei diesem Thema ist das letzte Wort noch nicht gesprochen. Ich bin für jede Diskussion offen. Europaabgeordnete haben mir ihre Bedenken übermittelt, weil sie tatsächlich um das ganze Geschäftsmodell [der Neobroker, Anm. der Redaktion] fürchten. Ich sehe diese Gefahr aber nicht. Vor allem glaube ich, dass dieses Bezahlmodell nicht verbraucherfreundlich ist. Und reguliert können wir es nicht lassen, das ist ganz klar.“

In der Tat hatten EU-Parlamentarier zuvor starke Bedenken gegen ein „PFOF“-Verbot vorgebracht (siehe unsere Montags-News). Was man jenseits dessen aber auch fragen muss: Sind die Fronten innerhalb der Industrie – die Neobroker auf der einen Seite vs. die klassischen Börsen und klassischen Banken auf der anderen Seite – wirklich so eindeutig, wie es schien. Oder wird ein komplettes „Payment for Order Flow“-Verbot möglicherweise auch in Teilen der klassischen Bankenbranche gefürchtet?


3.) Wen – außer die Neobroker – könnte das  „PFOF“-Verbot noch treffen?

Wie weiter oben gezeigt, fasst der EU-Entwurf (“ … any fee or commission or non-monetary benefits from any third party …“) das Verbot sehr.  Bei strenger Auslegung wären unter anderem folgende Transaktionen betroffen:

– die Abwicklung einer Order für eine Aktie im klassischen Handel

– die Abwicklung einer Transaktion im von klassischen Banken dominierten, hierzulande immer noch 64 Mrd. Euro großen Markt für Zertifikate (denn dort dominiert der sogenannte „Direkthandel“ zwischen Anleger und Emittent …)

– die Ausführung eines ETF-Sparplans, der – genau wie ein Aktien-Trade –  häufig auf der gebündelten Weitergabe der Sparplan-Order an Dritte fußt

– die Ausführung eines klassischen Fonds-Sparplans oder einer Fonds-Order, da die Fondsanteile in der Regel börslich deutlich günstiger zu haben sind als in einem provisionspflichtigen Geschäft direkt zwischen Kunde und Bank bzw. Fondsgesellschaft

Kurzum: Der Kreis der Betroffenen beschränkt sich – je nach Auslegung – keineswegs auf die Neobroker. Auch viele klassische Banken wären an diversen Ecken und Enden ihres Wertpapiergeschäft potenziell tangiert, mancher glaubt sogar, es gehe dem System aller Bestandsprovisionen an den Kragen. Bezeichnend war zum Beispiel, wie uneuphorisch der Deutsche Derivate-Verband (der mit den Neobrokern eher nichts am Hut hat) den EU-Entwurf aufnahm: „Die Auswirkungen des Payment for Order Flow sollten geprüft werden – und zwar ergebnisoffen.“ 


4.) Das heißt, die Banken würden von einem PFOF-Verbot gar nicht profitieren?

Zumindest nicht so eindeutig, wie es auf den ersten Blick scheinen mag. Klar: Im Kern schützt ein „PFOF“-Verbot die alten Modelle. Ein klassischer Online-Broker (also die Comdirects und ING Diba und Consors) stellt bei einer Aktienorder in der Regel irgendwas um 5 Euro plus 0,25 Prozent des Transaktionswert in Rechnung; bei klassischen Banken wie der Deutschen Bank liegt die Untergrenze sogar eher bei 20 Euro je Order (und viele Sparkassen und Genobanken verlangen gar 1 Prozent des Transaktionswerts zuzüglich Spesen und Börsengebühren).

Der naheliegende Schluss lautet mithin: Wenn die Neobroker ohne „Payment for Order Flow“ künftig ihre Preise anheben müssen, dann ist ihr Preisvorteil gegenüber den klassischen Playern nicht mehr ganz so groß …

Diese Betrachtung greift allerdings ein bisschen kurz. Denn:

– Die die Attraktivität der Neobroker fußt nicht nur auf dem Preis, sondern auch der User Experience und der radikalen Vereinfachung von Onboarding und Ausführung

– Die Neobroker dürften dank ihrer schlanken Strukturen auch ohne „Payment for Order Flow“ sehr wettbewerbsfähig sein

Banken und Online-Broker müssen sich daher fragen, ob sie durch ein Verbot wirklich mehr gewinnen als verlieren.


5.) Aber z.B. bei Flatex kommen doch nur 3,2 Prozent der Erträge aus „PFOF“ – oder?

Mmmhhhh. Das mit den 3,2 Prozent hat Flatex zwar kürzlich öffentlich mitgeteilt. Aus einer Fußnote auf Seite 6 der Präsentation der Halbjahreszahlen geht allerdings hervor, dass in Wahrheit 10 Prozent der Erträge  aus Rückvergütungen stammen (wir vermuten mal, dass die Differenz auf Definitionsfragen zurückgeht …).

Dass jedenfalls auch Flatex die strukturellen Änderungen im Markt ernst nimmt, zeigt ein Schritt aus der vorvergangenen Woche. Beim Handel von Wertpapieren in Fremdwährung wird bei bestimmten Transaktionen die „Fremdwährungsgebühr“ nämlich von 0,1 Prozent auf 0,25 Prozent angehoben. „Enhanced Monetisation“ ist die Folie überschrieben, mit der Flatex die Änderungen gegenüber Investoren erklärte.


6.) Ist die Debatte nicht eh obsolet, weil die Neobroker „Best Execution“ faktisch längst praktizieren?

Mmmhhh. Wenige Tage vor der Veröffentlichung der EU-Entwurfs hatte Trade Republic versucht, mithilfe einer Studie versucht zu belegen, dass ein „PFOF“-Verbot eigentlich überflüssig sei. Tenor der bei der WHU und der University of Southern Denmark in Auftrag gegebenen und via „Börsen-Zeitung“ und „Handelsblatt“ verbreiteten Untersuchung. Wer über den bevorzugten Handelsplatz von Trade Republic (nämlich über die LS Exchange) handelt, der zahlt keine höheren „Spreads“ als an anderen Börsen.

Tatsächlich lieferte die Studie das Ergebnis, das sich die Auftraggeber mutmaßlich gewünscht hatten: Bei 21 Prozent der ausgeführten Transaktionen sei der „Spread“ an der LS Exchange besser gewesen als auf dem Referenzmarkt Xetra; in 78 Prozent der Fälle sei der „Spread“ der gleiche gewesen; und nur bei 1 Prozent der  Transaktionen sei der „Spread“ an der LS Exchange schlechter gewesen. Mithin: Was soll der ganze Furor rund um „Payment for Order Flow“? Stimmt zwar, dass Trade Republic von der LS Exchange Rückvergütungen erhält – zum Schaden des Endkunden sei das aber nicht …

Zwei Dinge übersahen die Rezipienten der Studie allerdings:

  1. Dass an anderen Handelsplätze gestellte Kurse nicht schlechter als bei Xetra sein sollten, ist schon heute gesetzlich so vorgeschrieben. Die Studienergebnisse mussten also mehr oder weniger so ausfallen, wie sie ausgefallen sind
  2. Viel spannender wäre es gewesen, die Spreads im vorbörslichen bzw. nachbörslichen Handel zu untersuchen. Das allerdings unterließ die Studie – auch, weil es außerhalb der üblichen Handelszeiten gar keinen Referenzmarkt gibt – etwa nach 22 Uhr für US-Aktien oder nach 17:30 Uhr bei deutschen Titeln.

Ob Trade-Republic-Kunden im heutigen Regime also wirklich immer optimale Kurse kriegen, bleibt fraglich – auch wenn immerhin der Verdacht ausgeräumt wurde, die Kunden könnten zu klassischen Handelszeiten schlechter gestellt sein als auf Xetra.


7.) Wer, wenn nicht die Banken, wäre der große Gewinner eines PFOF-Verbots?

Mutmaßlich die großen Börsen, also zum Beispiel die Euronext in Paris oder die Deutsche Börse in Frankfurt. Die nämlich haben in den zurückliegenden zwei, drei Jahren massiv Geschäft an alternative Handelsplätze wie (auch wenn es sich um eine Börsen-Beteiligung handelt) Tradegate, Gettex oder die LS Exchange verloren. Wir haben Anfang der Woche einfach mal die Probe aufs Exempel gemacht, wo drei momentan besonders beliebte Wertpapiere (Tesla, Biontech und der größte MSCI-World-ETF) am stärksten gehandelt werden. Das Ergebnis: Die Deutsche Börse (also „Xetra“ und „Frankfurt“) kam nur mehr auf einen Marktanteil von maximal 50 Prozent

Fest dürfte stehen: Im Falle eines strikten „PFOF“-Verbot würden beträchtliche Marktanteile zurück zu den großen Börsen wandern. Vielleicht kommt auch daher das Gerücht, dass sich insbesondere die Pariser Euronext in Brüssel für ein „PFOF“-Verbot starkgemacht haben soll – schließlich will Trade Republic nach dem deutschen nun auch den französischen Markt erobern.


8.) Welchen Neobroker würde ein PFOF-Verbot wie hart treffen?

Platzhirsch Trade Republic ist zwar stark abhängig vom PFOF-Modell, zumal man recht aggressiv weitgehend mit nur einem Partner – der LS Exchange – zusammen arbeitet. Dass dieses Modell überarbeitet werden muss und Trade Republic künftig noch weitere Handelsplätze wird anbieten müssen, dürfte als ausgemacht gelten. Allerdings ist Trade Republic auch kundenstark genug, die Abwicklung (siehe Punkt 9.) selbst zu übernehmen – ein Schritt, der kleineren Akteuren wie Justtrade,  finanzen.net zero oder dem Smartbroker mangels Masse zunächst nicht offen steht. Für sie würde das Geschäft mit Sicherheit nicht leichter, vor allem dann nicht, wenn man noch keine „Marke“ aufgebaut hat.


9.) Wie sähe das Geschäftsmodell der Neobroker im Falle eines PFOF-Verbots aus?

– Trade Republic & Co. könnten ganz einfach die Gebühren anheben und Order bepreisen: 3 Euro pro Order statt nur 1 Euro – oder mit Flatrate-Modellen arbeiten

– Mögliche Einnahmequellen könnten sich in Nischen (Daten, Werbung, etc.) ergeben

– Am spannendsten: Ein finanz- und vor allem umsatzstarker Neobroker wie Trade Republic hätte möglicherweise sogar die Kapazitäten, sozusagen seine eigene „Börse“ zu werden – also die Dienstleistung, die die LS Exchange zurzeit übernimmt (sprich: die Abwicklung), zu internalisieren und Kundenorder gegeneinander zu „matchen“