Christian Lindner (links) wird offenbar Finanzminister, hier stellt er mit Kanzlerkandidat Olaf Scholz den Koalitionsvertrag vor (Bild: imago/Mike Schmidt)

Koalitionsvertrag: Die zwölf wichtigsten Passagen für Banken und Fintechs

SPD, Grüne und FDP haben am Mittwochnachmittag ihren Koalitionsvertrag vorgelegt. Was steht darin über Banken und Fintechs? Eine Einordnung.

Die European Payments Initiative (EPI) soll her, die nationale Einlagensicherung bleiben, die Corona-Erleichterungen werden zum Dauerzustand, ein „Bundesadler-Produkt“ wird geprüft – und bei den für etliche Banken maximal profitablen Restschuldversicherungen setzt die Ampel-Koalition zur Grätsche an.

Hier lest ihr: Die aus Sicht von Banken und Fintechs zwölf wichtigsten Passagen aus dem am Mittwoch vorgestellten, 177 Seiten dicken Koalitionsvertrag – inklusive einer kurzer Einordnungen.

1.) Die nationale Einlagensicherung bleibt

„Im Rahmen eines umfassenden Gesamtpakets zum Finanzbinnenmarkt sind wir (…) bereit, eine europäische Rückversicherung für nationale Einlagensicherungssysteme zu schaffen, die bei den Beiträgen strikt nach Risiko differenziert. Voraussetzung dafür ist eine weitere Reduzierung von Risiken in den Bankbilanzen, die weitere Stärkung des Abwicklungsregimes und der Erhalt der Institutssicherung der Sparkassen und Volksbanken. (…) Eine Vollvergemeinschaftung der Einlagensicherungssysteme in Europa ist nicht das Ziel.“

Finanz-Szene-Urteil: Ein Teilerfolg für Banken und Sparkassen. Die „Ampel“ hält an der nationalen Einlagensicherung fest, eine mögliches europäisches System hätte lediglich ergänzenden Charakter. Vermutlich müssten die Institute für die europaweite „Rückversicherung“ eine zusätzliche Prämie zahlen. Das dürfte die Branche aber verschmerzen können.

2.) Hehre Ziele für Fintechs, Krypto & Co.

„Für Fintechs, Insurtechs, Plattformen, Neobroker und alle weiteren Ideengeber soll Deutschland einer der führenden Standorte innerhalb Europas werden. (…) Wir werden deshalb für effektive und zügige Genehmigungsverfahren für FinTechs sorgen. (…) Wir brauchen eine neue Dynamik gegenüber den Chancen und Risiken aus neuen Finanzinnovationen, Kryptoassets und Geschäftsmodellen. Wir setzen uns für ein Level-Playing-Field mit gleichen Wettbewerbsbedingungen innerhalb der EU, zwischen traditionellen und innovativen Geschäftsmodellen und gegenüber großen Digitalunternehmen ein.“

Finanz-Szene-Urteil: Eine reichlich weiche Erklärung, in der vor allem die explizite Nennung der Neobroker auffällt. Ist das möglicherweise ein Wink, dass die Koalitionäre dem von der EU-Kommission angestrebten „Payment for Order Flow“-Verbot skeptisch gegenüberstehen? Man sollte nicht drauf wetten.

3.) Ein „Ja“ zur Regulierung so, wie sie ist

„Wir werden Basel III/IV mit allen seinen zentralen Elementen umsetzen. (…) Bei der Umsetzung achten wir auf investitionsfreundliche Rahmenbedingungen (Zugang zu Ratings und Erhalt des KMU-Faktors). Bankenaufsicht und -regulierung müssen dem Grundsatz der Proportionalität entsprechen. Wettbewerbsnachteile für kleinere Banken wollen wir abbauen. Dafür setzen wir auf eine passgenaue Regulierung und substantielle Erleichterungen (SREP-Prozess, Meldewesen) für sehr gut kapitalisierte kleine und mittlere Banken mit risikoarmen Geschäftsmodellen (…) .“

Finanz-Szene-Urteil: Ein „Ja“ zur Basel-III-Finalisierung; ein „Ja“ zum KMU-Faktor; ein „Ja“ zum Leitgedanken der Proportionalität. Klingt nach Common Sense – wobei natürlich auffällt, dass die „kleinen Banken“ zweimal, die „mittleren Banken“ einmal, die „großen Banken“ indes keinmal erwähnt werden. Auch ein Statement.

4.) Ein klares Ja zur „European Payments Initiative“

„Europa braucht zudem eine eigenständige Zahlungsverkehrsinfrastruktur und offene Schnittstellen für einen barrierefreien Zugang zu digitalen Finanzdienstleistungen für alle Verbraucherinnen und Verbraucher sowie Händler.“

Finanz-Szene-Urteil: Das heißt nichts anders, als dass sich die Ampel-Koalition deutlich hinter die „European Payments Initiative“ stellt – wie zuletzt auch schon der noch geschäftsführende Finanzminister und zukünftige Bundeskanzler. Mithin: Keine Überraschung. Ob’s was bringt, wird man sehen.

5.) Die „Aktienrente“ kommt – mit Mini-Budget

“ … werden wir zur langfristigen Stabilisierung von Rentenniveau und Rentenbeitragssatz in eine teilweise Kapitaldeckung der gesetzlichen Rentenversicherung einsteigen. Diese teilweise Kapitaldeckung soll als dauerhafter Fonds von einer unabhängigen öffentlich-rechtlichen Stelle professionell verwaltet werden und global anlegen. Dazu werden wir in einem ersten Schritt der Deutschen Rentenversicherung im Jahr 2022 aus Haushaltsmitteln einen Kapitalstock von 10 Milliarden Euro zuführen.“

Finanz-Szene-Urteil: Zehn Milliarden Euro – das klingt erst mal ordentlich, ist aber bei Lichte betrachtet überschaubar. Zur Einordnung: Die Summe entspricht ungefähr drei Prozent der jährlichen Beiträge in die gesetzliche Rentenversicherung beziehungsweise 0,1 Prozent des privaten Geldvermögens deutscher Haushalte. Allein: Der Einstieg in die kapitalgedeckte gesetzliche Rente ist gemacht. Banken wie Fintechs fehlt damit im Vertrieb zukünftig das Argument, wonach allein die private oder betriebliche Vorsorge eine Partizipation am Aktienmarkt ermöglicht.

6.) Der „Bundesstempel“ kommt – vielleicht

„Wir werden das bisherige System der privaten Altersvorsorge grundlegend reformieren. Wir werden dazu das Angebot eines öffentlich verantworteten Fonds mit einem effektiven und kostengünstigen Angebot mit Abwahlmöglichkeit prüfen. Daneben werden wir die gesetzliche Anerkennung privater Anlageprodukte mit höheren Renditen als Riester prüfen. Eine Förderung soll Anreize für untere Einkommensgruppen bieten, diese Produkte in Anspruch zu nehmen.“

Finanz-Szene-Urteil: Ob ein günstiges und mutmaßlich provisionsarmes Produkt „mit Bundesadler drauf“ kommt, soll also erst einmal nur geprüft werden. Finanzdienstleister, die ihr Geld mit Fonds, Versicherungen oder Bausparverträgen verdienen, dürften aufatmen.

7.) Riester bleibt – und der Sparerpauschbetrag wird erhöht

„Es gilt ein Bestandsschutz für laufende Riester-Verträge“ (…) Den Sparerpauschbetrag wollen wir auf 1.000 Euro erhöhen.“

Finanz-Szene-Urteil: Keine unwichtige Nachricht insbesondere für die Genossenschaftsbanken (mit dem Riester-Fondsmarktführer Union Investment): Die 3,2 Millionen Riester-Fondssparpläne laufen erst einmal (vermutlich auch gefördert) weiter und damit auch die damit verbundenen jährlichen Nettozuflüsse im geschätzt niedrigen einstelligen Milliardenbereich. Der höhere Pauschbetrag mag eine Miniatur sein. Er gibt Finanzdienstleistern aber einen willkommenen Anlass, mit Kundinnen und Kunden in Kontakt zu treten – und den Vertrieb anzukurbeln.

8.) Dauerhafte Erleichterungen beim Eigenkapital?

„Die im Zuge der COVID 19- Pandemie eingeführten Erleichterungen bei Eigenkapitalregelungen sollten systematisch evaluiert werden, um beurteilen zu können, ob und inwiefern die Erleichterungen beibehalten werden können“

Finanz-Szene-Urteil: Das, klar, hören die Banken gern.

9.) Ein kräftiges „Ja“ zu Wagniskapital und zum Aktienmarkt

„Deutschland soll führender Start-up-Standort in Europa werden. Der Zukunftsfonds wird den Wagniskapitalmarkt auch für institutionelle Investoren öffnen und die deutsche Finanzierungslandschaft über eine flexible Modulausgestaltung gezielt ergänzen. Wir werden Börsengänge und Kapitalerhöhungen sowie Aktien mit unterschiedlichen Stimmrechten (Dual Class Shares) in Deutschland gerade auch für Wachstumsunternehmen und KMUs erleichtern.“

Finanz-Szene-Urteil: Aus diesen Formulierungen sprich eine kapitalmarktfreundliche Haltung. Banken, Fintechs und VCs werden genau beobachten, welche konkreten gesetzgeberischen Initiativen hieraus erwachsen.

10.) Die Scholzisierung der Bafin geht weiter

„Wir wollen die Reform der deutschen Finanzaufsicht BaFin fortsetzen. (…) Die BaFin muss als Arbeitgeberin attraktiver werden.  (…) Wir werden die Fähigkeiten der BaFin bei der Prüfung von Vermögensanlageprospekten weiter stärken. Wir werden den Verbraucherbeirat der BaFin weiter stärken.  (…) Wir werden bei der BaFin eine Vergleichs-Website für Kontoentgelte einrichten. (….) Wir werden die BaFin beauftragen, Regulierungslücken im Grauen Kapitalmarkt zu identifizieren. (…) Bei besonders finanzmarktnahen Verpflichteten wird die Geldwäscheaufsicht auf die BaFin übertragen.“ 

Finanz-Szene-Urteil: Die Bafin wird gestärkt und erhält mehr Kompetenzen, mehr Mittel, mehr Arbeit – und womöglich ja auch (noch) mehr Personal.

11.) Grätsche in die Restschuldversicherung

„Bei Restschuldversicherung, werden wir den Abschluss des Versicherungsvertrages und den Abschluss des Kreditvertrags zeitlich um mindestens eine Woche entkoppeln.“

Finanz-Szene-Urteil: Ein (jenseits des verirrten Kommas) veritabler Hammer, der das Geschäft von Spezialbanken in diesem Bereich massiv belasten könnte. Schließlich ist es ein offenes Geheimnis, dass mit den Restschuldversicherungen auch nach der Provisionsdeckelung massiv Geld verdient wird. Dass der Käufer eines Autos oder Fernsehers nach einer Woche noch mal zum Point of Sale zurückkehrt (egal ob physisch oder digital), um eine Restschuldversicherung abzuschließen, erscheint schwer vorstellbar.

12.) Votum für grenzüberschreitende Bankenfusionen

„Wir setzen uns für einen leistungsstarken europäischen Banken- sowie Kapitalmarkt ein, der durch Wettbewerb und Vielfalt der Geschäftsmodelle geprägt ist. (…) Wir wollen zudem ermöglichen, dass innerhalb von EU-Bankengruppen Kapital und Liquidität flexibler eingesetzt werden können.“ 

Finanz-Szene-Urteil: Die Formulierungen klingen technisch, lassen sich aber als klares Votum für grenzüberschreitende Bankenfusionen (auch) unter deutscher Beteiligung verstehen. Ein durchaus kräftiges Statement. Denn gemeint ist ja offenkundig: Das sogenannten „Ringfencing“ (also dass ausländische Banken hiesige Einlagen bitte, bitte nicht antasten) ist nicht mehr sakrosankt.