(Bild: imago / zuma Press)

J.P. Morgan holt sich Girocard-Lizenz

Die Pläne der US-Großbank J.P. Morgan Chase für einen möglichen Einstieg in den deutschen Retail-Markt sind sehr viel konkreter als bislang bekannt.

Laut exklusiven Recherchen von Finanz-Szene und Finance Forward hat J.P. Morgan Chase bei der Deutschen Kreditwirtschaft bereits die notwendigen Verträge angefragt, um innerhalb des Girocard-Systems eigenständig Karten ausgeben zu dürfen – sprich als „Issuer“ auf dem deutschen Markt aufzutreten.

Auch ein entsprechender Processing-Partner soll den Informationen zufolge bereits ausgewählt sein. Dafür käme nach unserem Verständnis eigentlich nur der Bank-Verlag infrage, also der Payment-Dienstleister des BdB (Hintergrund: über das Kölner Unternehmen laufen die Girocard-Transationen etlicher privater Banken hierzulande). Der Bank-Verlag wollte sich hierzu nicht äußern, ebensowenig wie Sprecherinnen der Deutschen Kreditwirtschaft sowie von J.P. Morgan.

Auch in ihren Job-Anzeigen für den geplanten Berliner Standort werden die Amerikaner mittlerweile eindeutig. So heißt es beispielsweise in der Beschreibung für die Position der/des Product Manager – Cards: „Als Produktentwickler sind Sie verantwortlich für das End-to-end-Girocard-Produkt in Deutschland – von der technischen Implementierung und Integration bis hin zur Strategie und zum Produktangebot.“ Was will J.P. Morgan mit der Girocard nun genau? Planen die Amerikaner – ähnlich wie neuerdings in UK – auch hierzulande den Aufbau einer Digitalbank? Und geht es zwingend um ein Produkt für den Massenmarkt – oder sind auch andere Szenarien denkbar?

Eine Annäherung;

1.) Was hat J.P. Morgan in Berlin vor?

Dass J.P. Morgan abseits der hiesigen Haupt-Dependance in Frankfurt die Eröffnung eines Berliner Büros vorantreibt, steht den Stellenanzeigen zufolge außer Frage. Nicht ganz so eindeutig ist, was die US-Großbank dort produktseitig genau treiben möchte. Den Ausschreibungen lässt sich lediglich entnehmen, dass es wortwörtlich um „Everyday Banking“ gehen soll (dafür wird, wie bereits berichtet, ein entsprechender „Head of“ gesucht). In einer Stellenanzeige unterscheidet J.P. Morgan zudem zwischen „’Build the bank’ and ‘Run the bank’“-Aktivitäten. Weitere Jobangebote deuten ebenfalls auf den Aufbau einer operativen Einheit mit entsprechenden Service-Strukturen wie Kundenservice und KYC („Know your customer“) hin. Hierfür werden ein „People Lead – Banking Operations“, ein „Head of Fraud Operations“ und zum Beispiel auch ein Mitarbeiter im Qualitätsmanagement gesucht. Zur operativen Kundenbetreuung heißt es in einer der Ausschreibungen: „We are providing a 24/7 operation and looking to support our customers and colleagues 365 days a year. Work schedules will include evening and weekend working on a rota basis.“


2.) Um welche Bankprodukte geht es?

Am Frontend ist bislang tatsächlich nur klar: Es soll mindestens mal eine Girocard geben. Wortwörtlich heißt es in der Aufgaben-Beschreibung unter der Position „Product Manager – Cards“:

„Establish and manage the German card portfolio and steer the Girocard integration from scratch for the German market as part of the „Move Money“ product tribe. (…) Act as subject matter expert in the card issuing and processing domain, specifically with regard to Girocard integration, deployment and management.“

Auch das Anforderungsprofil bezieht sich explizit auf Kenntnisse zum Girocard-Produkt im Retail-Banking:

„You are a domain expert in card schemes and issuer processing within the consumer banking segment. (…) You are a domain expert in and have hands-on experience with Girocard, working with processors, and understand authorization and clearing mechanisms.“

Zudem ist seit einigen Wochen auch eine Stelle im Bereich „Cash & Payment Operations“ ausgeschrieben, für die als Anforderungen sowohl „Ideally previous payments experience/knowledge of Visa, MasterCard or GIROCARD“ als auch „Basic knowledge of Mastercard/Girocard rules, SEPA CT / SEPA DD / SEPA Inst / T2 / SWIFT scheme with a detailed understanding of at least one scheme“ gewünscht sind. Das deutet zumindest darauf hin, dass die Bank sich das entsprechende Wissen für den deutschen Markt jetzt einkaufen will (wahrscheinlich um das Regelwerk der DK ordnungsgemäß umzusetzen zu können).


3.) Auf welche Kunden hat es J.P. Morgan mit der Girocard abgesehen?

Die in den Ausschreibungen recht fluffig formulierte Vision von „investing in innovative ways to attract customers, deepen engagement and drive increased satisfaction“ ist an dieser Ecke nur mäßig aussagekräftig – genauso wie die allenthalben formulierte Anforderung, man wolle „customer centric“ arbeiten. Schauen wir also stattdessen einmal auf den Track Record der US-Bank in Europa:

J.P. Morgan soll gemessen an der Bilanzsumme mittlerweile zu den fünf größten hiesigen Banken gehören (weil zuletzt großvolumig Assets von anderen europäischen Einheiten auf die Frankfurter Dependance umgehängt wurden), betreibt in Deutschland jedoch bislang kein Retail-Kundengeschäft. In Großbritannien hingegen hat die US-Bank bereits letztes Jahr unter der Marke „Chase“ ein digitales B2C-Angebot gestartet, das eine App sowie ein Kartenprodukt umfasst. Den Aufbau des UK-Geschäfts ließ sich das Institut laut Berichten 450 Millionen Dollar kosten, nach acht Monaten zählt das Angebot rund 500.000 Kunden und acht Milliarden Pfund an Einlagen.

Nach den Plänen für den deutschen Markt befragt, verweist J.P Morgan bislang darauf, dass neue Geschäftsfelder in Europa zunächst im Vereinigten Königreich getestet würden, bevor man sie in anderen Märkten wie Deutschland ausrolle. Das war auch schon die Antwort von Deutschlandchef Stefan Povaly im Finanz-Szene-Podcast auf die Frage zu einem deutschen Robo-Advisor-Angebot (analog zum akquirierten britischen Fintech Nutmeg).

– Es ist also als erste Variante denkbar, dass J.P. Morgan analog zu Chase in den UK auch in Deutschland den großen Wurf plant und mit einer digitalen Banking-Lösung  in den deutschen Retail-Markt einsteigt.

– Eine zweite Variante wäre, dass J.P. Morgan das Ganze gar nicht für den Massenmarkt plant, sondern gewissermaßen als „Goodie“ für die besonders ertragreichen Private-Banking-Kunden – die Bank hatte bereits im vergangenen Jahr angekündigt, das Geschäft mit den hiesigen Ultra High-Networth Individuals (darunter versteht das Institut Kunden mit einem liquiden Vermögen ab 100 Millionen Euro) massiv ausbauen zu wollen.

– Noch eine dritte Variante: Vielleicht weiß man es bei der US-Bank auch selbst noch nicht so genau? Immerhin zwei der ausgeschriebenen Rollen sind mit „Market Research“ bzw. „User Research“ überschrieben, wobei letzterer Titel zumindest auf ein digitales Produkt hindeutet (so explizit wird das dann aber nirgendwo benannt).

– Zumindest theoretisch gibt es auch noch eine vierte Variante: Nämlich die, dass sich J.P. Morgan zudem anschickt, im Girocard-System als Händlerbank („Acquirer“) aufzutreten. Wie gesagt, theoretisch wäre das möglich. Aus den bekannten Stellenausschreibungen und beantragten Girocard-Verträgen lässt es sich allerdings nicht ableiten.


4.) Wie groß und schnell ist das Rad, das J.P. Morgan da dreht?

Vieles deutet darauf, dass sich J.P. Morgan eher behutsam an das unbekannte Wesen „Deutscher Konsument“ herantastet – eventuell auch, weil man den Aufwand, den ein Beitritt ins Girocard-System mit sich bringt, etwas unterschätzt hat. Denn offensichtlich müssen die entsprechenden Experten dafür (siehe oben) erst noch eingestellt werden. Auch die Anzahl der ausgeschriebenen Stellen am Berliner Standort spricht eher für einen Peu-à-peu-Aufbau denn für eine Hauruck-Aktion: 23 Stellen waren dort Ende Juni auf diversen Online-Portalen ausgeschrieben – selbst wenn man davon ausgeht, dass einige Jobs vielleicht direkt über einen Headhunter besetzt und nicht ausgeschrieben werden, sind das gemessen an der Größe der Bank immer noch eher wenige Stellen. Zum Vergleich: Allein die Frankfurter Dependance meldete zum gleichen Zeitpunkt an die 60 offene Stellen. Und: Der Hiring-Zyklus in Deutschland ist durch die Kündigungsfristen von mindestens drei Monaten lang – selbst wenn jetzt Verträge unterschrieben werden, wäre das Gros der Kandidaten wohl frühestens im September in Berlin startklar.

Zudem betont die US-Bank in ihren Ausschreibungen immer wieder, dass es um ein „Startup“ geht – und gibt als Adresse die eines Berliner Co-Working-Spaces an. Was nahelegt, dass die Amerikaner erst einmal mit einem kleinen Team loslegen wollen. Das legt auch die Rollenbeschreibung der HR-Position nahe:

„Work with the senior leaders to develop & implement an end-to-end talent strategy for a rapidly growing start-up, creating objectives, standards & infrastructure to help the organisation scale from the ground up.“