Wirecard-Chef Markus Braun (Bild: imago images/Sven Simon)

Kommentar: Wirecard braucht einen neuen Chef

Noch nie gab es einen Dax-30-Konzern, der seine Aktionäre durch stetigen Dilettantismus so in Atem hielt wie Wirecard. Eine Wende könnte nur noch ein Chefwechsel bringen!

Ohne Markus Braun gäbe es die Wirecard AG nicht. Die Anfänge des Unternehmens waren 1999 bescheiden. Erst mit dem Eintritt des Österreichers begann der stetige Aufstieg, der im September 2018 in der ersten Börsenliga endete. Der Chef und größte Aktionär des Spezialkonzerns für digitale Zahlungswege erwies sich über viele Jahre als echter Pionierunternehmer – auf nichts anderes fokussiert als den Unternehmenserfolg, rücksichtslos und sehr erfolgreich.

Doch seit sich Wirecard unter den Dax-30-Konzernen tummelt, versagt Braun auf ganzer Linie. Die nicht endend wollende Kette von finanziellen Ungereimtheiten, fragwürdigen Posten in einer undurchschaubaren Bilanz, von Querelen mit den Wirtschaftsprüfern, völlig unerwarteten Ad-hoc-Meldungen und verschobenen Pflichtveröffentlichungen hat das Unternehmen zum Spielball der Spekulanten gemacht. Die erneute, nicht plausibel begründete Absage der bereits vorher verschobenen Bilanz für 2019 in dieser Woche macht selbst die Anhänger Brauns ratlos. Der größte Gefallen, den Braun seinem Unternehmen noch tun könnte, wäre sein eigener Rücktritt.

Keine Chance auf nachhaltige Besserung

Nun gibt es seit einigen Wochen einen neuen Aufsichtsratsvorsitzenden und auch einige Veränderungen im Vorstand der Wirecard AG. Büchsenspanner des Chefs streuten sogar die gewagte These, Braun seit durch diese Personalentscheidungen „entmachtet worden“. Doch ein Mann wie Braun, dem ehemalige Mitarbeiter leicht autistische Züge bescheinigen, lässt sich nicht so einfach verdrängen. So lange der studierte Wirtschaftsinformatiker in der Firmenzentrale im bayrischen Aschheim ein- und ausgeht, richtet sich alles nach ihm. Wer sollte als angestellter Manager auch ernsthaft einem Milliardär Paroli bieten, der über sieben Prozent der Wirecard-Aktien hält?

Eine Lösung wäre einfacher, wenn es bei Wirecard nur um einige wenige, klar und eindeutig lokalisierbare Probleme ginge. Doch das Unternehmen hat in den letzten zwei Jahren so viel Vertrauen verspielt, so viel Markenkapital vernichtet und so viele Aktionäre erschüttert, dass es unter der jetzigen Führung selbst bei gutem Willen keine Chance auf nachhaltige Besserung mehr gibt.

Probleme von Wirecard lösen sich nicht in Luft auf

Das ist umso fataler, weil das Geschäftsmodell des Unternehmens gut funktioniert. Wenn die Bilanzzahlen auch nur annähernd stimmen, die man bisher kennt, ist die Profitabilität des Konzerns höher als bei jedem anderen Dax-30-Konzern. Wenn. Die Tatsache, dass man eine Aussage über die Kernzahlen eines Unternehmens nur noch mit einem solchen Disclaimer machen kann, zeigt das ganze Ausmaß des Vertrauensverlusts.

Man kann sich viele sehr unterschiedliche Prognosen für die weitere Entwicklung des Unternehmens vorstellen – nur eine auf gar keinen Fall: Dass sich die jetzigen Probleme irgendwann in Luft auflösen, die Dauerkritiker die Polemik gegen Wirecard einstellen, die zahlreichen Kläger ihre Klagen zurückziehen, die Leerverkäufer ihre Positionen leise weinend abbauen und wieder so etwas wie Normalität eintritt. Nicht, so lange Braun im Amt bleibt. Und vielleicht noch nicht einmal danach.