Ali Niknam hat Bunq 2012 gegründet (Bild: PR)

Was kann der N26-Angreifer? Wir haben die Bunq-Zahlen

Exklusiv: Lange hat die niederländische Neobank Bunq kein Wagniskapital aufgenommen. Jetzt wurde sie zum Unicorn – Grund genug, den Geschäftsbericht zu studieren. Wie schlägt sich das Startup?

Neobanken müssen maximal aggressiv sein. Sie brauchen hohe Fundings. Schnelles Wachstums ist unerlässlich. Profitabilität spielt erst einmal keine Rolle. Und die Kosten? Nun ja, die sind zwar nicht egal, aber auch nicht wirklich wichtig.

So ist das doch, oder? Das ist doch (und zwar nicht einmal zugespitzt) die Methode, mit der N26 den europäischen und ein Rivale wie Revolut sogar den globalen Bankenmarkt erobern will. Wer nicht mitspielt bei diesem Spiel – hat schon verloren. Dachte man jedenfalls bis vor wenig Wochen.

Doch dann kam Bunq.

Bunq? Das ist eine niederländische Neobank, die aufgrund ihrer schicken App und einiger netter Features auch hierzulande seit einigen Jahren eine treue, wenn auch kleine Fanbase hat (wobei einige dieser Fans es gar nicht nett fanden, als Bunq vor einiger Zeit anfing, die eigenen Leistungen zu bepreisen). Das Problem von Bunq? Nun, Bunq war nicht aggressiv – oder höchstens minimal aggressiv. Hohe Fundings? Bekam das Oranje-Fintech keine. Oder besser gesagt: wollte es keine. Stattdessen entwickelte der Gründer sein Fintech mehr oder weniger per Bootstrapping, einer Methode, die 1.) ohne externen Mitteleinsatz auskommt und für die man 2.) vornherum viel Schulterklopfen erntet sowie 3.) hintenrum ein müdes Lächeln. Bootstrapping? Was für ein Depp … 

Nun ist die Sache aber die: Vor einigen Wochen hat der Bunq-Gründer dann doch das erste Mal extern gefundet. Und zwar gleich 193 Millionen Euro zu einer Bewertung von 1,6 Milliarden Euro. Damit ist Bunq insbesondere hierzulande (wo sich zum Beispiel Revolut erstaunlich schwertut) zum wichtigsten Herausforderer der Berliner Neobank werden. Wie ernst also muss man Bunq nehmen? Auf diese Frage gibt es nun erstmals eine zahlenbasierte Antwort. Denn Finanz-Szene und Finance Forward haben exklusiv den Geschäftsbericht aufgetan:

Voilà:

1.) Ertragslage

in Mio. € 2020 2019
Zinserträge 0,9 0,2
Zinsaufwendungen 2,7 1,3
Zinsüberschuss -1,8 -1,1
Provisionserträge 18,5 8,6
Provisionsaufwendungen 6,8 4,5
Provisionsüberschuss 11,8 4,1
sonstige Erträge 3,1 0
Personalaufwendungen 8,9 6,5
Abschreibungen 0,3 0,3
Bewertungsergebnis 0,9 0,5
andere Kosten 19 9,6
Gesamtkosten 29,1 16,9
Ergebnis vor Steuern -16,1 -13,9

Man sieht: Bunq hat eine relativ ähnliche Erlösstruktur wie N26 (kaum Zinsgeschäft, hohe Provisionserträge vor allem aus Kartentransaktionen) – dreht dabei aber ein sehr viel kleineres Rad. So erwirtschaftete der Berliner Rivale bereits 2019 Provisionserträge in Höhe von 83 Millionen Euro, also viereinhalb mal so viel wie Bunq ein Jahr später. Bei den Zinserträgen war N26 mit 9,0 Millionen Euro sogar um den Faktor 10 voraus. Freilich bezahlte die deutsche Neobank diesen Vorsprung mit hohen Verlusten. So lag der Fehlbetrag im Geschäftsjahr 2019 bei 217 Millionen Euro, verglichen mit einem Vorsteuerverlust von 16,1 Millionen Euro bei Bunq.

2020er-Zahlen hat N26 noch keine veröffentlicht. Allerdings äußerte sich CEO Valentin Stalf vor einiger Zeit mal zum Verlust (rund 100 Millionen Euro). Und was die Gesamterträge (also inklusive der sonstigen betrieblichen Erträge) angeht, haben wir hier vor einiger Zeit mal eine hoffentlich gut begründete Schätzung abgegeben: irgendwas zwischen 125 Millionen und 155 Millionen Euro. Damit lässt sich unter Vorbehalt folgende Gegenüberstellung zimmern (Hinweis: wir haben jetzt bei N26 einfach den Mittelwert von 125 Millionen und 155 Millionen genommen; zudem sei darauf hingewiesen, dass die Zins- und Provisionsaufwendungen sowohl bei N26 noch bei Bunq unberücksichtigt blieben):

2020, in Mio. Euro Bunq N26
Erträge 22 140
Verlust 16 100

2.) Fundings

Ganz sooooo gebootstrapped, wie es die Legende will, ist Bunq natürlich dann doch nicht. Denn auch, wenn die Niederländer bis dato mit vergleichsweise kleinem Cashburn auskommen – mit irgendwas müssen die Löcher ja trotzdem gefüllt werden. Im Zweifel also mit Geld.

Konkret: Rund 90 Millionen Euro hat der Gründer und CEO Ali Niknam bis Ende 2020 in seine Unternehmung gesteckt, geht aus dem Bunq-Abschluss hervor. Woher er dieses Geld hat, steht im Geschäftsbericht nicht, tut letzten Endes ja aber auch nichts zur Sache.

Da Bunq per Ende 2020 noch über Eigenkapital im Umfang von 29 Millionen Euro verfügte, hat Bunq seit der Gründung 2012 also Kapital im Umfang von gut 60 Millionen Euro verbraucht. Auch hier der Vergleich zu N26, allerdings wiederum per Ende 2019:

– Gesamtfunding: 561 Millionen Eur0 (vs. 90 Millionen Euro bei Bunq per Ende 2020)
– Aufgelaufene Verluste: 346 Millionen Euro (vs. 61 Millionen Euro)
– Eigenkapital: 215 Millionen Euro (vs. 29 Millionen Euro)

Das freilich war alles, bevor Bunq in diesem Sommer vermeldete, besagte 193 Millionen Euro eingeworben zu haben.


3.) Geschäftsmodell

Der Geschäftsbericht von Bunq ist zwar teilweise extrem detailliert (mehr weiter unten) – an entscheidenden Stellen bleibt er aber Auskünfte schuldig. So finden sich beispielsweise keine Angabe zur Zahl der Kunden. Einen sehr interessanten Hinweis zur Ertragsgenerierung liefert Bunq dann aber doch. Die Niederländer schlüsseln nämlich (anders als N26) auf, wie sich die Provisionserträge im Detail zusammensetzen:

2020 2019
Privatkunden 10,1 4,4
Geschäftskunden 6,0 3,2
sonstigen Gebühren (inkl. Interchange) 2,4 1,0

Hieraus lassen sich aus unserer Sicht nun folgende Rückschlüsse ziehen:

1. Wenn die Interchange unter die sonstigen Gebühren fällt, dann kommt also der ganz überwiegende Teil der Provisionserträge (nämlich 16,1 Mio. Euro vs. <2,4 Millionen Euro) nicht aus der Interchange (also aus Gebühren, die beim Zahlen mit Karte anfallen). Ohne jemals Zahlen gesehen zu haben, würden wir auf Basis all dessen, was man so hört und ableiten kann, vermuten: Bei N26 ist der Interchange-Anteil an den gesamten Provisionseinnahmen entschieden höher.

2. Fragt man nun, wo die Gebühren denn dann herkommen, dann sei erinnert: Bunq hat im April 2020 seine Kontosysteme grundlegend auf Bezahlkonten umgestellt – und zwar zwangsweise. Kostenpunkt: 7,99 Euro pro Monat nach dreimonatiger kostenloser Startphase. Es drängt sich also die Vermutung auf, dass die 10,1 Millionen Erträge bei den Privatkunden wesentlich aus Kontogebühren stammen. Mal ganz, ganz simpel: Wir tun jetzt einfach mal so, als gäbe es nur das 7,99-Euro-Modell (es gibt natürlich auch höherpreisige), und wir tun so, als wären seit Mitte 2020 bei allen Kunden 7,99 Euro eingezogen worden, vorher aber nichts (auch hier abstrahieren wir sehr stark, denn es gab ja auch vorher schon Kunden in kostenpflichtigen Modellen) … Dann hätten wir zehn Millionen Euro Erträge geteilt durch 48 Euro (7,99 Euro mal sechs Monate) ergibt: gut 200.000 Retail-Kunden. Ist natürlich nur ein Näherungswert. Aber wenigstens hat man damit mal eine ganz grobe Vorstellung, in welchen Dimensionen wir uns hier bewegen

3. Wie viel Umsatz N26 mit seinen Geschäftskunden macht, weiß man nicht. Allerdings würden wir (wiederum: nach allem, was man hört) behaupten, dass sich bei den Berlinern die Business-Banking-Erträge nie und nimmer auf drei Fünftel der Retail-Erträge summieren – und genau das ist bei Bunq ja der Fall (6 Millionen Euro vs. zehn Millionen Kunden).

4.) Was spricht für Bunq?

Was spricht für Bunq und damit indirekt vielleicht auch gegen N26? Denn: Irgendeinen Grund muss es ja haben, dass in Bunq jetzt fast 200 Millionen Euro zu einer Bewertung von zwei Milliarden Euro geflossen sind, obwohl die Niederländer viel, viel kleiner sind als der deutsche Rivale … Zumal: Allein der Umstand, dass Bunq vergleichsweise verlustarm arbeitet, ist ja noch kein Grund zum investieren …

Also, in aller Vorsicht mal ein paar mögliche Motive:

– Bunq hat eine zwar kleine, aber offenbar zahlungsbereite Kernklientel

– Wer in Bunq investiert, bekommt nicht nur eine mutmaßlich niedrige sechsstellige Zahl an Retailkunden, sondern auch eine mutmaßlich zumindest mal mittlere fünfstellige Zahl an Geschäftskunden

– Die Investoren bekommen für Ihr Geld also nicht nur ein „sehr kleines N26“, sondern auch ein „ziemlich großes Kontist oder Penta“ (Kontist und Penta sind die beiden Berliner Business-Banking-Fintechs …)

– Bunq hat es zuletzt geschafft, auf kleiner Flamme die Erträge (+156 Prozent) deutlich schneller hochzufahren als die Kosten (+72 Prozent). Vielleicht gelingt das Ganze auf großer Flamme ja auch

(… und doch ändert das alles nichts daran, dass Bunq gemessen an der neuen Bewertung halt trotzdem noch sehr, sehr, sehr klein ist).

5.) Zinsgeschäft und Einlagen

Was weder N26 noch Bunq tun: irgendeine Form von nennenswertem Kreditgeschäft zu betreiben (N26 über die Dispo-Schiene vermutlich sogar mehr noch als Bunq …).

So sind die Kundeneinlagen (bei Bunq 813 Millionen Euro, eine Steigerung von 87 Prozent zum Vorjahr) nicht nur ein Beleg, dass die Kunden dem niederländischen Fintech tatsächlich Geld anvertrauen – sondern sie sind auch: ein Problem.

Arbeitet man sich durch den Geschäftsbericht, wird man seitenlang mit Schlagwörtern wie „Nachhaltigkeit“ und „Green Bonds“ nachgerade zugedröhnt. Die Realität hingegen? Sieht so aus, dass Bunq per Ende 2020 gerade mal fünf Millionen Euro in grüne Anleihen investiert hat. Stattdessen fließen die Kundengelder grob gesagt je hälftig in sehr sichere (niederländisches Pfandbrief-Konstrukt …) Hypotheken sowie zur EZB.

Die Folge, siehe oben: Den Zinserträgen in Höhe von 0,9 Millionen Euro standen Zinsaufwendungen von 2,7 Millionen Euro gegenüber.


6.) Gedöns

Hier mal ein Blick auf die Provisions-Aufwendungen:

in Mio. Euro 2020 2019
Clearing 0,3 0,3
Karten-Aufladungen 0,3 0,1
Baumpflanzungen 0,2 0
Due Dilligence Kunden 0,9 0,8
Karten-Transaktionen 2,7 1,9
Karten-Produktion 1,7 1,1
Brokerage Gebühren 0,1 0,1
Rest 0,6 0,2
Summe 6,8 4,5

Was ad-hoc auffällt:

– Dafür, dass Bunq nicht nur im Geschäftsbericht sehr grün daherredet, sondern dies auch im Marketing tut und sogar ein komplettes Premium-Kontomodell „Easy Green“ nennt, finden wir den operativen Aufwand für Baumpflanzungen mit gut 200.000 Euro überschaubar. Sage noch einer, Fintechs seien nicht kostenbewusst …

– Etwas ungünstiger scheint das Ertrags-Aufwands-Verhältnis im Kartengeschäft zu sein. Ein schneller Abgleich zwischen den Interchange-Gebühren (maximal 2,4 Millionen Euro) und den Kosten für Kartentransaktionen (2,7 Millionen Euro), Kartenproduktion (1,7 Millionen Euro) und Payment-Infrastruktur (1,2 Millionen Euro) legt nahe: Hier wird sehr viel mehr draufgezahlt als im neumodischen Fintech-Ablasshandel „Konto gegen Bäume“.


7.) Noch ein paar Kostenpositionen …

in Euro 2020 2019
Büro 371.517 246.440
Marketing 9.721.314 5.900.727
Technik 2.504.168 1.700.706
Allgemein 6.412.010 1.794.641
Summe 19.009.009 9.642.514

Alles ziemlich fintech-like.

Auch hier ein Quervergleich zu N26: Die Berliner kamen 2019 auf Marketingaufwendungen in Höhe von 68 Millionen Euro, im Vergleich zu den 9,7 Millionen Euro von Bunq (wohlgemerkt im Jahr 2020) also auch hier ein extrem hoher Unterschied, Faktor 7, um genau zu sein.

Extrem auffällig sind die Büro-Ausgaben von nur 372.000 Euro für im Jahresschnitt 153 Mitarbeiter. Das macht (liebe Taunus-Banker und Frankfurter Controller, jetzt genau lesen) exakt 2.431 Euro je Mitarbeiter. Pro Jahr, nicht pro Monat.


8.) Wie gehen 200 Euro Overhead-Kosten pro Monat?

Der Geschäftsbericht dröselt auf den Euro genau auf, wie sich die Büro- und sonstigen Kosten rund um den Arbeitsplatz zusammensetzen …

in Euro, gerundet Mitarbeiter pro Monat
Miete und Service Fee 185.000 153 101
Restaurant 62.000 153 34
Reinigung 25.000 153 14
Telefon & Internet 21.000 153 12
andere 78.000 153 43
Summe 372.000 153 202

Wie ist das möglich für ein Unternehmen mit Sitz in Rotterdam? Massives Outsourcen kann es nicht sein, denn lediglich 25 der 153 Köpfe saßen im Ausland (mutmaßlich in Sofia/Bulgarien, wo man ebenfalls Büros angemietet hat). Ganz offenbar schaut Bunq einfach sehr genau hin bei den Kosten. Auch das ein Grund, warum sich die Verluste trotz Wachstums in Grenzen halten. Die Pro-Kopf-Personal-Aufwendungen belaufen sich inkl. Vorstand auf 58.000 Euro.


9.) Marketing: Viel Werbung, wenig anderes

in Euro 2020 2019
Werbung 9.360.000 5.493.000
Events 64.000 168.000
Beratung 44.000 119.000
PR 193.000 93.000
Geschenke 1.800 4.200
andere 49.000 23.000

10.) Mitarbeiter: Produkt & IT dominieren

2020 2019
Vorstand 3 3
Produkt, IT, Design, Daten 57 41
Marketing & Business Development 24 11
Onboarding, Support, Compliance 45 30
Finanzen, HR, Risk 24 11